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Naara

 

 

 

 

 

 

Weitere Namen

Naaran; Naarah

Lokalisierungsvorschläge

Namensformen AT

נַעֲרָתָה / נַעֲרָ֔ן ; naʻărtāh / naʻărān ; Νααραθα / Νααραν.

Belege AT

Jos 16,7; 1Chr 7,28

Belege NT

ausserbiblische Belege aus vorhellenistischer Zeit
(BIS CA. 300 v.Chr.)

נערתה (Papyrus-Fragment: Shmuel, Ahituv u.a. 2017a, 172).

Deuterokanonische Texte und Ausserbiblische Belege
ab hellenistischer Zeit

Νεαρὰν (Josephus, antiquitates 17,340: Thomsen, Peter 1907a, 93; Möller, Christa / Schmitt, Götz 1976a, 149);
Νααραθα, Νοοραθ (Eusebius, Onomastikon: Klostermann 136,24-25; Timm 178,5-6 § 735; Notley, R. Steven / Safrai, Zeʾev 2005a, 130 § 732); Naaratha, Naorath (Hieronymus: Timm 178*,5-6)
nwʻdn; nʻwrn; nʻrn (rabbinisch: Reeg, Gottfried 1989a, 443-444);
Noara (Vita Charitonis 10,21: Di Segni, Leah 1990a, 409)
 

Beschreibung

Belege

Der Ortsname Naara taucht in der Bibel lediglich in der Grenzbeschreibung Ephraims (Jos 16,7) und  in 1Chr 7,28 auf, wo dem Stamm Ephraim sein Erbbesitz zugeteilt wird. Daneben findet sich Naara als Personenname für eine der Frauen Aschhurs (1Chr 4,5-6).

LXX

Während in Jos 16,7 die Form naʿartāh belegt ist, findet sich in 1Chr 7,28 die kürzere Form naʿarān. Auch in der LXX sind die beiden Formen belegt. Die unterschiedlichen Formen könnten darauf zurückgehen, dass in Jos 16,7 das Toponym mit einem He-Locale verbunden wird (vgl. Zadok, Ran 1977a, 266).
In Jos 16,7-LXX findet sich auch die Lesart καὶ αἱ κῶμαι αὐτῶν („und ihre Dörfer“). Dabei handelt es sich jedoch wahrscheinlich um eine Fehllesung: Hier könnte weḥaṣrêhæn („und ihre Dörfer“) aus Jos 16,9 übernommen worden sein (vgl. Gaß, Erasmus 2019a, 161).

Etymologie

Zur Bedeutung des Namens wurden verschiedene Vermutungen aufgestellt: So wurde der Name vom männlichen Eigennamen Nearja (übersetzt als „Diener Jahwes“; 1Chr 3,22-23; 1Chr 4,42) und dem in aramäisch-sinaitischen Inschriften belegten weiblichen Gottesnamen Naarath abgeleitet (vgl. Euting, Julius 1891a, 81 Nr. 635). Demnach wäre diese Gottheit in diesem Ort von Dienern verehrt worden (vgl. Krauß, Samuel 1916a, 96). Die Doppelung der Etymologie von Dienern und Gottheit auf einen Ort erscheint allerdings unwahrscheinlich.
Das Toponym wurde des Weiteren von naʿar („Junge“) bzw. naʿarāh („Mädchen“) abgeleitet (Keel, Othmar / Küchler Max 1982a, 556) und erneut ein kultischer Zusammenhang vermutet (vgl. Borée, Wilhelm 1968a, 38.111; leider gibt Borée keine Gründe für diese Vermutung an).
Auch möglich erscheint die Herleitung von naʿaratāh als eine determinierte aramaisierte Feminin-Plural Form für „Dienerinnen“, d.h. eine aramäische Pluralform von naʿarāh (vgl. EBR 2022, 513). Allerdings ist weder naʿar noch naʿarāh im Aramäischen belegt (vgl. Zadok, Ran 1977a, 266 Anm. 6).
Eine sichere Etymologie des Ortes findet sich derzeit nicht.

Jos 16,7

In Jos 16,7 wird Naara im Grenzverlauf zwischen Jericho und Atarot (Atarot, efraimitsch) genannt, sodass Naara zwischen diesen beiden Orten zu suchen ist. Naara erscheint als der östlichste Punkt der Südgrenze Ephraims (vgl. Kallai, Zecharia 1986a, 164), denn Jericho gehört bereits zum Stammesgebiet von Benjamin.
In Jos 16,7 ist der Text problematisch: wenn man der Vermutung einer aramaisierten Form folgt (s.o.), stehen Atarot und Naara lediglich durch die Kopula waw verbunden in der Grenzbeschreibung. Dann wäre entweder eine große Nähe beider Orte anzunehmen (vgl. Boling, Robert G. / Wright, G. Ernest 1984a, 402), was jedoch die Frage aufwirft, weshalb in der Grenzbeschreibung zwei in unmittelbarer Nähe befindliche Orte genannt wurden; oder aber es ist hier zu einem Textausfall gekommen (vgl. Elliger, Karl 1930a, 279–280). Hierbei lässt sich jedoch der ursprüngliche Text nicht mehr rekonstruieren. 
Auch die Möglichkeit, dass es sich bei der Endung nicht um eine aramaisierte Form, sondern um ein He-Locale (vgl. Zadok, Ran 1977a, 266) handelt, würde bei der genaueren Lokalisation von Naara wenig helfen; zwar wäre eine gewisse Distanz zwischen Naara und Atarot (Atarot, efraimitisch) anzunehmen, jedoch ist die Angabe eines He-Locale zu unbestimmt, um weitere Anhaltspunkte für eine Lokalisierung zu bieten.
In jedem Fall scheint Naara zwischen Jericho und Atarot zu liegen; am wahrscheinlichsten ist es dabei, dass zwischen Naara und Atarot eine gewisse Distanz besteht.

1Chr 7,28

Auch in 1Chr 7,28 erscheint Naara als der östlichste Punkt der Südgrenze Ephraims (vgl. Kallai, Zecharia 1986a, 164). Naara wird hier lamizrāḥ („gegen Osten“) –  wohl von Bet-El ausgehend – lokalisiert. Somit muss Naara östlich von Bet-El liegen.

Papyrusfragment

Im Jahr 2013 wurde ein Papyrus von Raubgräbern sichergestellt, auf dem der Ort Naara erwähnt wird. Die Radiokarbondatierung gibt für die Entstehung des Papyrus einen Zeitraum von der Mitte des 8. Jh. v.Chr. bis ins letzte Drittel des 5. Jh. v.Chr. an; die paläographische Untersuchung deutet auf eine Entstehung in der zweiten Hälfte des 7. Jh. v.Chr. hin (vgl. Ahituv, Shmuel u.a. 2017a, 170–171). Allerdings gibt es auch Zweifel an der Echtheit des Papyrus und es wurde die Vermutung geäußert, dass es sich bei dem Papyrus um eine moderne Fälschung handelt (vgl. dazu Rollston, Christopher 2017a). Unabhängig von der Echtheit des Zertifikates gäbe der Papyrus jedoch keinen weiteren Hinweis auf die genauere Verortung von Naara.
Der Papyrus berichtet von einer Weinlieferung von Naara nach Jerusalem. Aufgrund dessen könnte in der Umgebung von Naara Weinbau betrieben worden sein (vgl. Ahituv, Shmuel u.a. 2017a, 177–178). 

Flavius Josephus

Flavius Josephus nennt ein Dorf namens Νεαρὰν. Von diesem Dorf nahm Herodes Archelaus, ein Sohn Herodes des Großen, die Hälfte des Wassers, das zuvor das Dorf Neara bewässert hatte, um seine Neugründung Archelais damit zu bewässern. 
Archelais wird auch in der Mosaikkarte von Mādebā erwähnt. Der Ort liegt an der Straße von Jericho nach Skythopolis (Bet-Schean; vgl. Donner, Herbert 1992a, 45). Somit liegt Archelais nördlich von Jericho. Wahrscheinlich ist Archelais mit Ḫirbet Bayūḍāt (1945.1526) zu identifizieren, das direkt an der Straße von Jericho nach Skythopolis liegt (vgl. Bar, Shay / Zertal, Adam 2018a, 314-324). Hier findet sich auch ein Aquädukt, das Wasser von der 8,5km entfernt liegenden Quelle ʿAin ʿAuǧāʾ (1872.1512) in die Stadt leitet und die Stadt sowie deren Umland mit Wasser versorgte (vgl. Bar, Shay / Zertal, Adam 2018a, 547–555). Das Dorf Neara sollte also in der Nähe dieser Quelle zu finden sein.

Onomastikon

Der biblische Ort Naara wird im Onomastikon mit einem Dorf namens Νοοραθ (lat. Naorath) identifiziert. Der Ort soll fünf Meilen von Jericho entfernt liegen und wird als kleines jüdisches Dorf vorgestellt. Er wird allgemein mit Tell el-Ǧisr unmittelbar westlich der Quelle ʿAin Dōq identifiziert (vgl. Röwekamp, Georg 2017a, 274 Fn. 659), auch wenn die Meilenangabe etwas über Tell el-Ǧisr hinausgeht; zum einen wurde am Ort eine Synagoge ausgegraben (vgl. NEAEHL 3, 1075–1076), was zur Angabe des jüdischen Dorfes passt (vgl. Noth, Martin 1955a, 51); zum anderen sind die Meilenangaben des Onomastikons nicht immer genau, sodass die Entfernung durchaus kürzer als die angegebenen fünf Meilen sein kann (vgl. Röwekamp, Georg 2017a, 362–364).

Rabbinische Literatur

In der rabbinischen Literatur wird von Konflikten der Juden von Naara mit den Heiden in Jericho berichtet (vgl. Krauß, Samuel 1916a, 94–95), sodass hier eine gewisse Nähe der Orte vorliegen muss. Auch dies weist wieder auf Tell el-Ǧisr hin.

Vita Charitonis

In der Vita Charitonis, geschrieben etwa in der zweiten Hälfte des 6. Jh. n. Chr. (vgl. Di Segni, Leah 1990a, 393–394), wird von Konflikten zwischen dem jüdischen Bewohnern von Naara und dem in der Nähe gelegenen Kloster Douka berichtet. Das Kloster lag auf dem Ǧebel Qarantal (1909.1423); der Name des Klosters hat sich an der ca. 2 km nördlich des Berges gelegenen Quelle ʿAin Dōq erhalten (Möller, Christa / Schmitt, Götz 1976a, 77–78; Schmitt, Götz 1995a, 135). Auch hier ist anzunehmen, dass Naara in der Nähe des Klosters Douka lag. Dies würde ebenfalls gut zu Tell el-Ğisr passen, da der Siedlungsplatz unmittelbar bei der ʿAin Dōq liegt.

Identifikationen

Naara wird von allen Autoren in der nördlichen Umgebung von Jericho verortet. Dabei ist allerdings umstritten, ob der biblische Ort und der Ort aus römischer und byzantinischer Zeit identisch sind. Ein Ort oder eine Quelle, an dem sich der biblische Name erhalten hat, ist in dieser Region allerdings nicht zu finden. Das ist zutreffend, auch wenn Keel, Othmar / Küchler, Max 1982a, 495 Abb. 342 neben der „En-Dujuk“ (=ʿAin Dōq) eine Quelle namens „En-Naaran“ verzeichnen. Dabei handelt es sich jedoch um die ʿAin Nuʿēma, die nach topographischen Karten unmittelbar neben der ʿAin Dōq liegt.

a) Ḫirbet el-ʿAyaš

Ḫirbet el-ʿAyaš liegt östlich von Ḫirbet el-ʿAuǧāʾ et-Taḥtā und ca. 9,5 km Luftlinie von Jericho entfernt. Da es sich – nach dem Stand der Forschung um 1950 – um die erste eisenzeitliche Siedlung nördlich von Jericho handelte, wurde der Ort für Naara vorgeschlagen, obwohl man bei Eusebius eine größere Ungenauigkeit bei der Meilenangabe annehmen musste (vgl. Glueck, Nelson 1951a, 412–413). 
Zwar finden sich in Ḫirbet el-ʿAyaš Scherben aus der Eisenzeit II und der römischen und byzantinischen Zeit (vgl. Glueck, Nelson 1951a, 412; Kochavi, Moshe 1972a, 109 Nr. 27; Bar, Shay / Zertal, Adam 2018a, 405). In allen Surveys fehlen konkrete Zahlen zur Größe des Ortes und zur Anzahl der gefundenen Scherben, weshalb eine genaue Beurteilung über die Besiedlung des Platzes schwer fällt. Zudem passt die Erwähnung von Naara bei Flavius Josephus nicht zu Ḫirbet el-ʿAyaš, auch wenn Scherben aus römischer Zeit gefunden wurden, da der Ort nicht in der Nähe von ʿAin ʿAuǧāʾ liegt.
Für das spätere jüdische Dorf ist eine Identifikation somit allein von der Entfernung ausgeschlossen; zudem fanden sich keine Synagoge oder andere Hinweise am Ort (vgl. Bar, Shay / Zertal, Adam 2018a, 405), die auf eine jüdische Siedlung hinweisen.
Eine Identifizierung mit dem biblischen Naara oder dem Ort aus römischer bzw. byzantinischer Zeit kann somit ausgeschlossen werden.

b) Ṣuwwanet et-Tāniya

Ṣuwwanet et-Tāniya liegt in der Nähe von Tell el-Mafǧar (1936.1432). Im Ort wurden einige Überreste von Häusern aus der Eisenzeit und aus römischer Zeit gefunden (vgl. Landes, George M. 1968a, 131–132; Landes, George M. 1975a, 3-9; Greenberg, Raphael / Keinan, Adi 2009a, 66 Nr. 308; Nigro, Lorenzo 2011a, 154–155), sodass sich an dieser Stelle wohl ein Dorf befand. Allerdings liegt der Ort deutlich von ʿAin ʿAuǧāʾ entfernt und kann somit schwerlich mit dem von Flavius Josephus erwähnten Ort identisch sein.
Aus byzantinischer Zeit wurden nur einige Scherben gefunden (vgl. Nigro, Lorenzo 2011a, 154-155; anders noch Greenberg, Raphael / Keinan, Adi 2009a, 66: kein Befund), was allenfalls  auf eine geringe Besiedlung des Orts weist. Da in Ṣuwwanet et-Tāniya  außerdem keine Hinweise auf jüdische Besiedlung zu finden sind, hat sich wohl hier nicht der byzantinische Ort Noorath befunden. 

c) Ḫirbet el-ʿAuǧāʾ el-Fōqā

Der Ort liegt 11km nordöstlich vom eisenzeitlichen Jericho entfernt am Wadi ʿAuǧāʾ auf einem Hügel und ragt mit seinen steilen Abhängen aus der Umgebung heraus. Er diente wohl nicht der Landwirtschaft, worauf die steilen Abhänge des Siedlungshügels und die in 1,5 km Entfernung gelegene Quelle hinweisen (vgl. Ben-Shlomo, David u.a. 2020a, 29).
Durch die erhöhte Lage war jedoch eine Kontrolle dieser Region im Jordantal möglich. Diese militärische und strategische Bedeutung des Orts zeigt sich deutlich in der Kasemattenmauer (vgl. Ben-Shlomo, David u.a. 2020a, 12-13.21-23). In der Eisenzeit II war der Ort wohl ein wichtiges militärisches und administratives Zentrum (vgl. Zertal, Adam u.a. 2009a, 119). Da es sich dabei um die bedeutendste eisenzeitliche Siedlung zwischen Atarot (Atarot, efraimitisch) und Jericho handelte, würde Ḫirbet el-ʿAuǧāʾ el-Fōqā sehr gut in den Grenzverlauf von Jos 16,7 passen.
In der Nähe des Ortes liegt zudem die Quelle ʿAin ʿAuǧāʾ, was zur Angabe bei Flavius Josephus passen würde. Allerdings ist Ḫirbet el-ʿAuǧāʾ el-Fōqā in römischer und späterer Zeit nur noch sehr spärlich besiedelt (vgl. Bar, Shay / Zertal, Adam 2018a, 400). In dieser Zeit war der Nachbarort Ḫirbet el-ʿAuǧāʾ et-Taḥtā eindeutig bedeutender als Ḫirbet el-ʿAuǧāʾ el-Fōqā.
Zudem ist die Besiedlung des Ortes in byzantinischer Zeit noch spärlicher als in römischer Zeit (vgl. Bar, Shay / Zertal, Adam 2018a, 400); außerdem fehlen auch hier Hinweise auf jüdische Besiedlung. Darüber hinaus ist der Ort recht weit vom Kloster Douka entfernt. Eine Identifikation mit dem in byzantinischer Zeit bezeugten Ort Noorath ist somit auszuschließen.

d) Ḫirbet el-ʿAuǧāʾ et-Taḥtā

Die kleine Ḫirbet el-ʿAuǧāʾ et-Taḥtā liegt leicht erhöht zu seinem Umland am Wadi ʿAuǧāʾ. etwas südöstlich von Ḫirbet el-ʿAuǧāʾ el-Fōqā. Auch die Quelle ʿAin ʿAuǧāʾ liegt nicht weit entfernt, sodass die Angabe von Flavius Josephus auf den Ort zutreffen könnte, da gerade in der römischen und byzantinischen Zeit der Höhepunkt in der Besiedlung des Ortes festzustellen ist (vgl. Kochavi, Moshe 1972a, 109 Nr. 26; Bar, Shay / Zertal, Adam 2018a, 409).
Dieser Ort wurde auch deshalb für Naara vorgeschlagen (vgl. Guthe, Hermann 1915, 33), da Ḫirbet el-ʿAuǧāʾ et-Taḥtā gut in den Grenzverlauf von Jos 16 zwischen Atarot (Atarot, efraimitisch) und Jericho passt. Aufgrund des nur geringen Scherbenbefunds für die Eisenzeit II und der relativ geringen Größe des Siedlungsplatzes erscheint es allerdings unwahrscheinlich, dass das biblische Naara mit diesem Ort zu identifizieren ist (vgl. Bar, Shay / Zertal, Adam 2018a, 409). 
Darüberhinaus scheint es wenig wahrscheinlich, dass Ḫirbet el-ʿAuǧāʾ et-Taḥtā mit dem byzantinischen Ort zu identifizieren ist, da Hinweise auf eine jüdische Besiedlung des Orts fehlen und der Platz weit entfernt vom Kloster Douka ist.
 
e) Nuʿēma
 
Die einschlägige Karte des TAVO identifiziert (mit Fragezeichen) das alttestamentliche Naara mit Nuʿēma (vgl. Kellermann, Diether u.a. 1992a). Der Ort liegt ca. 4 km nördlich des Zentrums der heutigen Stadt Jericho. Eine nähere Begründung des Vorschlags liegt allerdings nicht vor. Ebensowenig gibt es belastbare Angaben zum archäologischen Befund.

f) Tell el-Ǧisr

Der jüdische Ort Naara aus dem Onomastikon, der rabbinischen Literatur und der Vita Charitonis wird allgemein mit Tell el-Ǧisr identifiziert. Der Platz wird häufig nach der unmittelbar östlich benachbarten Quelle ʿAin Dōq (alternative Transkription ʿAin Dūq) genannt (vgl. Möller, Christa / Schmitt, Götz 1976a, 148f; Schmitt, Götz 1995a, 263.266; nach Keel, Othmar / Küchler, Max 1982a, 556: (ʿen) ed-dujuk). Hier fand sich eine Synagoge (vgl. Keel, Othmar / Küchler, Max 1982a, 555–559), während in der Umgebung jüdische Dörfer nur selten belegt sind (vgl. Noth, Martin 1955a, 51). Die Angabe das Onomastikons geht allerdings etwa 2 Meilen über Tell el-Ǧisr hinaus (vgl. Möller, Christa / Schmitt, Götz 1976a, 149). Jedoch sind die Angaben des Onomastikons nicht immer präzise und können bisweilen auch eine längere Distanz angeben als dies tatsächlich der Fall war (vgl. Röwekamp, Georg 2017a, 362364), sodass im Onomastikon wohl dennoch Tell el-Ǧisr im Blick war. Zudem liegt Tell el-Ǧisr in der unmittelbaren Umgebung des Klosters Douka, wie es die Vita Charitonis voraussetzt. 
Aufgrund dieser späten Belege wird häufig angenommen, dass auch der im Alten Testament oder bei Josephus erwähnte Ort Naara  mit Tell el-Ǧisr bzw. ʿAin Dōq identisch ist (vgl. z.B. Abel, Felix-Marie 1938a, 393–394; kritisch dazu Kallai, Zecharia 1986a, 163–164). Dem ist allerdings klar zu widersprechen: keine archäologische Untersuchung konnte eine Besiedlung des Ortes oder seiner Umgebung in der Eisenzeit oder in römischer Zeit nachweisen (vgl. Conder, Claude R. / Kitchener, Herbert H. 1883a, 190; Glueck, Nelson 1951a, 404-408; Greenberg, Raphael / Keinan, Adi 2009a, 62-63; Nigro, Lorenzo u.a. 2011a, 132); der Ort war erst in byzantinischer Zeit besiedelt, aus der auch die am Ort gefundene Synagoge stammt (vgl. NEAEHL 3, 1075–1076). Ebensowenig passt Tell el-Ǧisr zur Notiz bei Flavius Josephus, da der Ort nicht in der Nähe der Quelle ʿAin ʿAuǧāʾ liegt. Zwar findet sich in der Nähe ein Aquädukt, das Wasser von der nahe gelegenen Quelle ʿAin Dōq abtransportiert, dieses diente jedoch der Bewässerung von Jericho und Umgebung (vgl. Bar, Shay / Zertal, Adam 2018a, 561–574). Eine Identifikation mit dem biblischen und römischen Ort ist – nach derzeitigen Stand der Forschung – daher ausgeschlossen.

g) Fazit

Es bleibt festzuhalten, dass bei keinem Ort der literarische Befund mit den archäologischen Funden in Übereinstimmung zu bringen ist. Zwar ist Tell el-Ǧisr unbestreitbar mit dem byzantinischen Ort zu identifizieren, zum römischen und biblischen Ort lassen sich nur Wahrscheinlichkeiten erörtern: zum biblischen Befund passt am besten Ḫirbet el-ʿAuǧāʾ el-Fōqā, zur Notiz bei Flavius Josephus Ḫirbet el-ʿAuǧāʾ et-Taḥtā,.
Der Name Naara scheint dabei von Ḫirbet el-ʿAuǧāʾ el-Fōqā nach Ḫirbet el-ʿAuǧāʾ et-Taḥtā gewandert zu sein, wohl im Zuge der Neubesiedlung des Ortes in römischer Zeit. Bei der Gründung von Tell el-Ğisr wurde er vielleicht vom noch besiedelten Ḫirbet el-ʿAuǧāʾ et-Taḥtā „kopiert“, sodass es in byzantinischer Zeit zwei Orte gleichen Namens in der nördlichen Umgebung von Jericho gegeben hat. Eusebius hätte somit den biblischen Ort mit dem aktuell näher an Jericho gelegenen Ort gleichgesetzt. Diese Hypothese bleibt jedoch spekulativ. Daher muss die Frage nach der Verortung des biblischen Ortes Naara offen bleiben, auch wenn Ḫirbet el-ʿAuǧāʾ el-Fōqā ein vielversprechender Kandidat ist.
 

 

Autor: Jakob M. C. Luz y Graf, 2023; letzte Änderung: 2023-03-23 11:05:27

 

 

 

 

Lexikonartikel

  • ABD 4 (1992), 969 (Thompson, Henry O., Art. Naarah [Place])
  • NEAEHL 3 (1993), 1075-1076 (Avi-Yonah, Micahel, Art. Naʿaran)
  • EBR 20 (2022), 515 (Gaß, Erasmus, Art. Naaran)

 

Literatur

Guerin, Victor 1874a , 210-213 ;  Conder, Claude R. 1877a , 26-27 ;  Clermont-Ganneau, Charles 1896a , 20-22 ;  Thomsen, Peter 1907a , 93 ;  Dalman, Gustaf 1914a , 15-16 ;  Guthe, Hermann 1915aKrauß, Samuel 1916aAlt, Albrecht 1925b , 24-25 ;  Fernández, Andrés 1933a , 3 ;  Abel, Félix-Marie 1938a , 393-394 ;  Noth, Martin 1953a , 105 ;  Noth, Martin 1955a , 51 ;  Simons, Jan 1959a , 167 §324 ;  Borée, Wilhelm 1968a , 38.63.111 ;  Landes, George M. 1975a , 1-24 ;  Möller, Christa / Schmitt, Götz 1976a , 148f ;  Avi-Yonah, Michael 1976a , 84 ;  Zadok, Ran 1977a , 266 ;  Keel, Othmar / Küchler, Max 1982a , 555-559 ;  Aharoni, Yohanan 1984a , 61.270 ;  Boling, Robert G. / Wright, G. Ernest 1984a , 402-404 ;  Kallai, Zecharia 1986a , 160-161.163-166 ;  Di Segni, Leah 1990a , 409 ;  Kellermann, Diether u.a. 1992aJericke, Detlef / Schmitt, Götz 1992aJericke, Detlef / Schmitt, Götz 1993aFritz, Volkmar 1994a , 172 ;  Svensson, Jan 1994a , 64 ;  Tsafrir, Yoram u.a. 1994a , 197 ;  Schmitt, Götz 1995a , 263 ;  Kaswalder, Pietro A. 2002a , 472 ;  Greenberg, Raphael / Keinan, Adi 2009a , S.62-63 Nr.273 ;  Zertal, Adam u.a. 2009aRösel, Hartmut N. 2011a , 273 ;  Moster, David 2017a , 231-233 ;  Röwekamp, Georg 2017a , 274-275 ;  Ahituv , Shmuel u.a. 2017aRollston, Christopher 2017aGaß, Erasmus 2019a , 161 ;  Jericke, Detlef 2020a , 99 ;  Ben-Shlomo, David u. a. 2020a Ben-Shlomo, David / Hawkins, Ralph K. 2021aHawkins, Ralph K. u.a. 2021a , 293-294.299 ;